Ukiyo-e - die Bilder einer vergänglichen Welt
von Alexander Bichara
 

Die Kunst des ukiyo-e entstand in der EdoPeriode, einer Epoche, die auf allen Gebieten für Japan von einzigartiger Bedeutung war. Es war die Zeit einer großen Wiedergeburt der Kunst aus den Quellen des Völkstums, während bis dahin Aristokratie und Priesterschaft die hohen Leistungen der japanischen Kultur getragen hatten. Daß diese Breitenwirkung nicht zu einer Verflachung führte, muß wohl als ein Wunder der Kunst betrachtet werden. Dieses Phänomen kann zumindest teilweise auf die Bemühungen einer aufgeschlossenen Gruppe von Künstlern, Kunsthandwerkern, Verlegern und Kunstkennern zurückgeführt werden, die die Ideale des ukiyo-e davor bewahrten, auf das Niveau eines Massengeschmacks abzugleiten.

Das Wort ukiyo bedeutet "fließende, vorgängliche Weit". Es handelt sich dabei um einen buddhistischen Ausdruck, unter dem man ursprünglich "die Welt des Schmerzes" verstand mit der Nebenbedeutung "flüchtige, unzuverlässige Welt". Im Laufe der Zeit wurde die Nachsilbe e, die "Bilder" bedeutet, angehängt und so entstand etwa um 1680 die Wortzusammensetzung ukiyo-e. Unter ukiyo-e verstand man eine neue, sehr beliebte Stilrichtung, in der sich Malerei und Holzschnitt mischten und als Hauptthema das bunte, von Lebensgenuß und Vergnügungssucht bestimmte Treiben in den Städten der Edo-Zeit abbildete. Sehr beliebte Motive waren vor allen Kurtisanen, Prostituierte und die Schauspieler des Kabuki. Dabei stand dieser neue Stil ganz im Gegensatz zu den Stilrichtungen, die sich im Laufe der Heian-, Kamakura und Muromachi-Periode entwickelten. Was verursachte nun diesen Wandel in der japanischen Kunst, also die Abkehr von immer wieder behandelten traditionellen Themen aus dem Alltag?

Die Hauptursache hierfür kann man darin sehen, daß sich in der Edo-Periode große Bereiche des städtischen Lebens entwickelten und die Stadtbevölkerung, hauptsächlich Kaufleute und Handwerker, erstmal die Mittel besaßen, sich für eine Kultur einzusetzen, an der - im Gegensatz zu der Kultur der Aristokratie und des Pristertums - das Volk Anteil hatte. In der Feudalgesellschaft der

Edo-Zeit bildeten die Kaufleute und Handwerker den breiten Mittelstand. Sie versorgten den Adel mit Luxusgütern und konnten dadurch ihr eigenes Kapital vermehren. Aber trotz ihres oft enormen Reichtums war es ihnen nicht möglich, gesellschaftliches Ansehen oder öffentliche Ämter zu erwerben. Auch wenn ein Kriegeraristokrat ihnen sein gesamtes Vermögen schuldig war, blieben sie ihm untergeordnet. Selbst das Zurschaustellen ihres Wohlstandes war ihnen gesetzlich untersagt, die Kleiderordnung verbot ihnen jeglichen Ausdruck von Individualität, und Bauvorschriften legten bestimmte Regeln für den Hausbau unabänderlich fest. Also blieb ihnen kaum eine andere Möglichkeit, als einen Großteil ihres Vermögens für Vergnügungen auszugeben.

Da den Kaufleuten die Teilhabe an den Kulturformen der Aristokratie verwehrt war und sie auch keine Möglichkeit hatten, in den Adelsstand aufzusteigen, schufen sie sich in ihren Stadtvierteln eine eingene Kltur, die hauptsächlich von der Suche nach dem Genuß getragen wurde. Vergnügungsviertel schossen wie Pilze aus dem Boden, wovon aber nur einige von der Regierung genehmigt wurden. Die berühmtesten der offiziell geduldeten Vergnügungsviertel waren Yoshiwara in Edo, Gion in Kyoto und Shinbashi in Osaka. Diese Bezirke waren ausschließlich dem Vergnügen vorbehalten. Es gab dort Theater, Teehäuser, Bäder, Restaurants jedlicher Art und natürlich auch gewisse Etablissments.

Die zentrale Figur in diesen vergnügungsvierteln war die Geisha. Sie stand einerseits im Mittelpunkt der städtischen Vergnügugswelt und war andererseits auch ein ganz besonderes Produkt des gesellschaftlichen Brauchtums in Japan. Als berufsmäßiger weiblicher Unterhaltungskünstler setzte sie Geisha der Edo-Zeit die Tradition einer langen Reihe von Kurtisanen und Tanzmädchen fort, die gewöhnlich ein Teil der aristokratischen Vergnügungswelt gewesen waren. In der Edo-Zeit wurde sie jedoch eine fest eingefügte Institution, die neueren und weiteren Bevölkerungsschichten in den Städten zur Verfügung stand. In einer Gesellschaft, in der das Leben in der Familie sowohl für den Samurai als auch für die anderen Stände so streng geregelt war, daß eine freie Gastlichkeit nicht möglich war, in der es keine gesellschaftlichen Verantstaltungen für beide Geschlechter gab und in der die arrangierte Heirat das Werben des Mannes um die Gunst der Frau ausschloß, erfüllte die berufsmäßige Unterhaltungskünstlerin eine wichtige Funktion. Sie und die Welt, die sie umschloß, stellten die einzige Möglichkeit für ein zwangloses Zusammensein von Frauen und Männern da. So waren die Frauen der Vergnügungsviertel auch ein sehr beliebtes Motiv der Holzschnitte. Die bekanntesten unter Ihnen wurden portrötiert, wahrscheinlich als Erinnerung für die Kunden oder als Ersatz für diejenigen, die sich ihre Dienste nicht leisten konnten. Sie wurden in den unterschiedlichsten Situationen dargestellt, z.B. wie sie spazierengehen, sich in ihrer Freizeit erholen oder ihre Kunden beglücken.

Ein weiteres, sehr beliebtes Motiv für die Holzschnitte waren die Schauspieler des Kabuki-Theaters. Die Anfänge des Kabuki gehen auf eine Shinto-Pristerin namens Okuni zurück. Sie führte mit einer kleinen Truppe volkstümliche Tänze und Possen auf. Die Stücke waren an sich nur Darbietungen von traditionellen Volkstänzen, aber ihre Truppe wurde nach und nach berühmt und trat sogar vor Feudalherren auf. Noch einem Jahrhundert der Bürgerkriege und Unruhen war es nicht verwunderlich, daß sich die Menschen der Edo-Zeit nach Vergnügung und Zerstreuung sehnten, und so fand das Theater ein aufnahmebereites Publikum. Diese neue Art des Theaters wurde dann auch von den Kurtisanen der Vergnügungsviertel aufgegriffen, denen sich eine willkommene Gelegenkeit bot, ihren Charme zu zeigen. Da sie jedoch bei ihren Aufführungen bald die damaligen Schranken von Sittlichkeit und Moral überschritten, wurde es im Jahre 1629 allen Frauen verboten, als Schauspieler aufzutreten. Dieses Verbot, das erst nach zweieinhalb Jahrhunderten aufgehoben werden sollte, war für die Entwicklung des japanischen Theaters von entscheidender Bedeutung.

Die Holzschnitte in Japan wurden lange Zeit als Massenprodukt angesehen, das vor allem ein kommerzielles Erzeugnis war und dem daher nur ein geringer künstlerischer Wert zugestanden wurde. Sie wurden paradoxerweise erst vom Westen als alte, wertvolle Kunstform entdeckt und ab etwa 1860 wurden viele von ihnen nach Amerika und Europa exportiert. Dort wurde erkannt, was die Japaner so lange Zeit übersehen hatten: Die Drucke waren viel mehr als hastig gearbeitete Massenwerke, die nur von grellen, publikumswirksamen Effekten lebten. Viele der Holzschnitte waren große Kunstwerke, deren Technik eine solche Vollkommenheit hatte, daß sie

Vergleichbares aus Amerika und Europa weit hinter sich ließ. Der Einfluß japanischer Holzdrucke wurde immer bedeutender, so daß sogar Van Gogh sie als Vorlage zu drei seiner Ölgemölde nahm und Degas, Manet, Monet und Toulouse-Lautrec sich erstklassige Sammlungen an legten und sich sogar stilistisch beeinflussen ließen.

Aktualisiert: 10.05.2001   |   Kontakt: Webmaster  |  © japonet 2001