Purikura
von Nina Goßlau
 

Was verbirgt sich eigentlich hinter diesem ominösen Wort? Für Eingeweihte ist es längst ein alter Hut oder aber ein beliebter "Sport" geworden, für den Rest der Weit jedoch lässt sich aufgrund des Wortes selbst, seines Klanges oder ähnlichem noch lange nicht auf die Bedeutung schliessen.

Genau genommen handelt es sich dabei um eine der in Japan sehr beliebten Abkürzungen, die die japanische Sprache für Ausländer unter Garantie noch verwirrender machen als sie ohnehin schon ist. In diesem Fall ist puri kura die Abkürzung für purinto kurabu. Dessen Herkunft wiederum ist nach mehrmaligen Ausspracheversuchen und bei vorhandenen Kenntnissen von kata-kana eigo bzw. nihongo eigo bei dem englischen Ausdruck print club zu suchen.

Danach stellt sich aber bereits die nächste frage, nämlich was das Wort club, was wie wohl jedermann bekannt, im Deutschen so viel heißt wie Klub mit dem Wort print - was im Deutschen ungleich mehr Bedeutungen haben kann: Schrift, Gedrucktes, Druck, Abzug, Kopie, bedruckter Stoff, Abdruck oder Veröffentlichung -zu tun hat. Der folgende Handgriff zum Wörterbuch verrät nichts über ein ähnliches Wort. Auch langes Nachsinnen oder Ausprobieren von möglichen Kombinationsmöglichkeiten ist hier vergebene Liebesmüh. Schließlich geht es hier um ein nur bedingt englisches Wort. Bedingt englisch insofern, als das print club - oder richtiger purikura - eine von Japanern ersonnene englische Bezeichnung für eine japanische Erfindung ist, die aber eigentlich nichts mit dem ohnehin nicht existenten englischen Wort print club zu tun hat.

Zunächst einige Vermutungen zur Herkunft von purikura:

Nicht umsonst sind die Japaner bekannt für ihre Liebe zur Photographie bzw. dafür, daß die Chancen, einen Japaner mit einem Photoapparat zu sehen, im Vergleich zu vielen anderen Nationalitäten ungleich höher sind. In Japan selbst fallen einem schnell die Unmengen an Einwegkameras auf, in denen der Film schon drinsteckt und die man am Ende einfach komplett zur Entwicklung abgibt. Gerade der Umgang mit dieser Art von Kameras scheint in Japan sehr beliebt zu sein, wenn man an die vielen Schulmädchen denkt, die - allgemein als Trendsetter bekannt oder auch dafür, daß sie neue Trends sehr schnell aufgreifen- in ihrer Freizeit mit ihren Freunden unterwegs sind und dabei des öfteren die Kamera, die schon zur festen Ausrüstung zu gehören scheint, zücken, um einen Schnappschuß zu machen. Kein Wunder, die seit der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in Mode gekommenen und fast überall erhältlichen Einwegkamera machen's möglich. Die so entstandenen Photos tragen besagte Schulmädchen dann in speziellen Photoalben bei sich, und man kann sie oft dabei beobachten wie sie sich während einer Unterhaltung Photos von Freunden ansehen.

Um etwas ähnliches geht es bei purikura. Wenn man so will, sind purikura nichts anderes als kleine, selbstklebende Photos (denn print bzw. purinto bzw. puri kann ja auch Abzug heißen), die man an besonderen Automaten machen kann, oder mittels der jetzt erhältlichen purikura-Kameras, aus denen die Abziehbilder schon fertig herauskommen. Ähnlich wie im Falle der Photos werden purikura in Japan von Schulmädchen eifrig gesammelt und vor allem untereinander ausgetauscht (daher die Bezeichnung club bzw. kurabu bzw. kura), so daß ganze Kollektionen von Tausenden von purikura zustande kommen. Der neue Sammelsport schlechthin also. Doch nicht nur das: purikura halten auch Einzug auf dem großen Markt der japanischen Zeitschriften, wo es mittlerweile ganze Zeitschriften gibt, die ausschließlich mit purikura gefüllt sind. Nach Meinung japanischer Schulmädchen bieten purikura eine gute Möglichkeit zur Kommunikation, da man sich über verschiedene abgebildete Personen oder die jeweiligen Hintergründe, die man selbst auswählen kann, unterhalten kann. Hinzu kommt das Gefühl, die Freunde immer bei sich zu haben, auch wenn sie nicht physisch anwesend sind.

Auch die Zahl der Freunde läßt sich durch purikura geradezu exponentiell vergrößern, was wiederum zur Folge hat, daß viele Schülerinnen seit dem Aufkommen von purikura den Wunsch nach 1000 Freunden verkünden. Dadurch ist die Anzahl der purikura-Bilder im eigenen Besitz zu einem Symbol für die Größe des Freundeskreises geworden, wobei das bloße Erkennen eines Gesichtes mit einer Freundschaft geichgesetzt wird. Um seine eigenen purikura besonders begehrt zu machen und somit den Tauschwert zu erhöhen, der sich wiederum auf die Anzahl der Freunde auswirkt, ist es deshalb unter Schülerinnen geradezu zu einer Wissenschaft geworden, sich möglichst gekonnt auf purikura zu präsentieren. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei diesen "Freundschaften" nach Meinung von Lehrern und Soziologen eher um Beziehungen, die denen der Geschäftswelt ähneln, aber gleichzeitig typisch sind für die heutige Jugendkultur. In der heutigen Gesellschaft böten purikura Jugendlichen die Möglichkeit, einen Beweis ihrer selbst zu hinterlassen, sozusagen ein eigenes Produkt , mit dem sie ihre eigene Person anderen Leuten näher bringen können und auf dem sie sich zudem so zeigen können wie sie sich selbst gerne sehen oder sähen.

Ursprünglich waren die purikura-Automaten von der Tokioter Firma Atlas als ein neues Instrument des Freizeitvergnügens entwickelt und im Juli 1995 erstmals als eine Art Spielautomat, mit dem man Abziehbilder von seinem eigenen Gesicht machen kann, aufgestellt worden. Dazu stellt man sich vor den Automat, wirft Geld ein und kann dann sich selbst auf dem Bildschirm sehen. Als nächstes wählt man aus einer Vielzahl und oft je nach Jahreszeit unterschiedlichen Motiven einen Hintergrund bzw. ein Motiv aus, das wie ein Rahmen um den äusseren Bildrand erscheint, Hat man ein passendes Motiv gefunden und sich selbst sowie die Mitstreiter, denn auch purikura ist in der Regel eher ein Gruppensport, zur Zufriedenheit ins Bild gerückt, heisst es abdrücken. Ein bis zwei Minuten später kommt schließlich ein ganzer Bogen mit 16 Abziehbildern aus dem Automaten, die man zunächst unter sich und später unter Freunden und Bekannten verteilen kann.

Die Konkurrenzfirma Sega Enterprise, die ebenfalls 1995 erste vergleichbare Automaten auf den Markt brachte, schötzte im Januar 1998, daß sie landesweit inzwischen etwa 45ooo Automaten betreibt. Offenbar hat es kein halbes Jahr gedauert bis sich die Automaten vollends etabliert hatten und purikura zum neuen Volkssport japanischer Schülerinnen geworden war.

Trotz kritischer oder besorgter Stimmen läßt sich die ungemeine Popularität von purikura nicht leugnen, zumal sie längst zu einem festen Bestandteil des Alltagslebens japanischer Jugendlicher geworden sind. Letzten Endes sind auch purikura im weitesten Sinne doch nur eine andere Form von Briefmarken, nämlich Freizeitvergnügen und Sammelobjekte. Ob sie tatsächlich freundschaftsstittend sind, ist eine andere Frage, aber Spaß machen tut's auf jeden Fall und wer schon Lust bekommen hat, es selbst mal auszuprobieren, und meint, nicht bis zum Sommer warten zu können, der kann den Spaß am Bahnhof Zoo schon mal vorab ausprobieren bzw. die richtigen Posen bereits im Vorfeld einstudieren, damit wir in Japan ordentlich viele purikura machen können.

Purikura ni tanoshimashô

Aktualisiert: 10.05.2001   |   Kontakt: Webmaster  |  © japonet 2001