Und was fällt dir zu Manga ein?
von Alexander Land
 

Ich glaube, ich habe eine ganz besondere Beziehung zu dem Wort Manga. Dies hängt erstens mit dem eingenen Charakter des Wortes, den es mit allen aus anderen Sprachen übernommenen Vokabeln teilt, zusammen. Zweitens spielt natürlich das Objekt Manga selbst eine enorme Rolle, und drittens fasziniert mich dabei alles, was sich aufgrund derselben Natur mit dem Manga in Beziehung setzen läßt, aber über die eigentliche Definition als "Story-Manga" weit hinausgeht. Dies bezeichne ich als Phänomen Manga.

Soll man das Wort Manga überstzen, so bietet das Wörterbuch z.B. "Comic Strips", "Comic" oder "Sprechblasengeschichte" an. Eine wörtliche Überstzung könnte wahrscheinlich "witzige Bilder" lauten, da das hier verwendete chinesische Schriftzeichen für man "witzig", "komisch" oder "verzerrt" bedeuten kann und das für ga "gemalte", "gezeichnete" oder "gedruckte Bilder". Wahrscheinlich war es Kitazawa Rakuten, der durch die Bezeichnung seiner Comic-Strips in der Zeitung "Jiji Shinpô" als Manga den Weg für die heutige Verwendung dieses Wortes ebnete. (1)

Manga ist eines derjenigen japanischen Wörter, die mich kontinuierlich aus den unterschiedlichsten Gründen seit Beginn meines Studiums verfolgen. Ich erinnere mich noch genau, es tauchte bereits in einer der ersten Lektionen auf. Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich noch keinen Manga gesehen, angefaßt oder gar gelesen, deshalb sollte das Objekt Manga mich erst später interessieren und faszinieren. Es war vielmehr das Problem, welches sich beim Übersetzen solcher Wörter wie z.B, Manga, Samurai, Kamikaze, Tokonoma oder Mononoaware stellte. Aufgrund ihrer Begriffsschwere, des Nichtvorhandenseins eines wahren Äquivalents in der eigenen Sprache oder einfach weil im Deutschen Erklärungen oft länger als angebracht ausfallen (müssen), übernimmt man diese Wörter in die deutsche Übersetzung und gibt dem Leser nähere Informationen in Form von Fußnoten oder eingefügten Erläuterungen. Dabei muß man sich dann jedes Mal mit der Frage auseinandersetzen, welcher bestimmte Artikel am besten dem jeweiligen übernommenen japanischen Wort vorauszustellen ist. Da es sich bei diesen "nicht"-übersetzbaren Wörtern oft um Substantive handelt, ist der deutschen Grammatik gemäß ein Artikel notwendig. Dementsprechend wird man schnell feststellen, daß. es offensichtlich keine festen Regeln (dem Verfasser sind zumindest keine bekannt) gibt, die die Wahl des Artikels erleichtern würden. Daraus folgt, daß man gefühlsmäßig den Artikel des deutschen Wortes auch für das japanische benutzt. Sind einige japanische Wörter (z.B. Samurai, Kamikaze) so bekannt, daß sie bereits fest in das deutsche Sprachvokabuar integriert worden sind, übernimmt der Duden diese und der Artikel ist somit festgelegt. Ich glaube, daß dabei dieselbe Regel zum Tragen kommt, wie das Beispiel Tsuga (die Schierlings- oder Hemlocktanne) zeigt. Es heißt die Tsuga. Warum sollte man auch der oder das Tsuga sagen, wenn Tanne im Deutschen feminin ist. Dies erscheint mir recht sinnvoll. Problematisch könnte es bei Wörtern wie Samurai werden. Laut Duden ist Samurai maskulin und bedeutet "Angehöriger des japanischen Adels". Dies impliziert irgendwie, daß alle Samurai Männer waren oder gar der japanische Adel nur aus Männern bestand . Auch wen mir dieses Prob1em ähn1ich gelagert zu sein scheint, wie bei deutschen geschlechtsspezifischen Wörtern bevor das Suffix "-in" eine enorme Verbreitung verzeichnen konnte, werde ich mich wohl kaum für eine Entwicklung stark machen, deren Ergebnis eine Wortbildung wie "Samuraiin" wäre.

Aber ich schweife ab. Der zweite Punkt, warum ich glaube, daß Manga etwas Besonderes bezeichnet, führt uns zu dem eigentlichen Objekt Manga. An dieser Stelle sollte ich vielleicht bemerken, daß ich kein begeisterter Manga-Leser bin, und höchstwahrscheinlich auch nie sein werde. Dies liegt aber nicht am Manga, denn ich lese auch keine anderen Comics. Es ist vielmehr darin begründet, daß ich hinsichtlich jeglicher Animation sich bewegende Bilder vorziehe, Ich meine richtige Bewegung wie bei Zeichentrickfilmen. Ich betone dies, da mancher Manga-Leser ja behauptet, einige gute Mangas würden in der Tat lebending, wenn man sie liest. Aber davon habe ich keine Ahnung - wie gesagt, ich gehöre nicht zu den Eingeweihten. Was mich wirklich an diesem japanischen Comic fasziniert, ist der Umstand, daß andere Leute, viele Leute, sehr viele Leute (nicht mehr nur Japaner) ihn lesen. Als ich das erste Mal in Japan war, traute ich fast meinen Augen nicht, als ich sah, wer alles diese "Heftchen" liest, wo und wann. Es gibt eigentlich keinen Ort, der nicht geeignet scheint, und keine Tageszeit, die unpassend ist, um Mangas zu lesen. Und mittlerweile habe ich den Eindruck, daß es keine lesefähige Altersgruppe in Japan mehr gibt, die sich dem Manga-Bann entziehen könnte, da aufgrund einer Vielzahl von geschlechts und altersspezifischen Themen für jeden etwas dabei ist.

Der dritte Punkt ist das Phanomen Manga. Darunter verstehe ich die Frage, ob der Manga nicht mehr als "nur" die japanische Version des Comics ist. Welchen Einfluß hat er auf die moderne japanische Kultur, auf die japanische Wahrnehmung?

Niemand wird wohl bestreiten, daß dieser Comic sehr beliebt ist - wahrscheinlich beliebter als Comics in anderen Ländern. Dafür sprechen allein schon die Millionenauflagen, auf die es z.B. die Manga-Wochenzeitschrift für Jungen Shônen Jump des Shûeisha-Verlages seit Beginn der 1990er Jahre bringt. Ungefähr 40% aller in Japan verkauften Bücher und Magazine sind Mangas (2). So etwas dürfte weltweit einzigartig sein. Aber muß nicht gerade dies stutzig machen. Bedeutet es nicht, daß sich hinter dem Manga mehr verbergen muß als ein Comic?

Die Welten, die in den Mangas beschrieben werden, sind irreal unabhängig davon, ob sie Science-fiction zuzuordnen sind oder ob sie sich mit Gegenwartsproblemen auseinanderzusetzen suchen. Sie erzählen von künstlich geschaffenen Begebenheiten und Situationen. Die Helden hoben sich von ihrer Umwelt dadurch ab, daß sie strahlender, störker, schöner, intelligenter oder alles zusammen sind oder als Mutanten oft über besondere Fähigkeiten verfügen. Dies ist völlig normal für Helden - oder etwa nicht? Aber das Problem fängt dort an, wo man sich fragen muß, ob die Trennung zwischen fiktiver und realer Welt noch bewußt vollzogen wird oder die Grenzen allmählich verschwimmen, Schaut man sich in Japan, insbesondere in Tôkyô um, so kann man feststellen, daß Formen dieser Mangawelten überall Einzug halten. Da sind nicht nur die Manga-Fraulein, welche sich auf den Anzeigetafeln von Automaten oder öffentlichen Telefonen tummeln, und deren männliche Versionen, die auf riesigen Videoschirmen für ein besseres Umweltbewußtsein werben, zu nennen, sondern auch all die Freizeitsparks wie die Luna-Parks, die das realisierte Ergebnis von Spielzeug bzw. Traumwelten sind.

Jörg-Uwe Albig stellt in seinem Artikel "Der Manga baut sich eine Stadt" die These auf, daß Japans Hauptstadt sich nach den Regeln von Comics entwickelt. Dies soll bedeuten, daß es keine nachvollziehbaren Regeln oder Gesetzmäßigkeiten gibt. Alles, was auf dem Papier möglich ist - und was gibt es, das dort nicht möglich ist? - scheint auch in der Realltät in Tôkyô machbar zu sein. "Holz wuchert neben Aluminium, Glas kratzt an Beton. Die Gebäude wölben sich vor, knicken ein, schlagen Blasen und Beulen, fallen übereinander her und ducken sich. Dann wieder schnellen sie gen Himmel, schmal wie die gegenwärtigen Schriftbänder." (3) Albig meint, daß der Manga schon lange mehr ist als nur Unterhaltungsmedium - er ist zu einer Art Religion geworden. Ich kann dem weder zustimmen noch es ablehnen. Aber für mich ist klar, daß der Kult um den Manga eine gewisse Eigendynamik entwickelt hat, die ihre eigenen Gesetze besitzt. Manga bedeutet für mich nicht mehr nur Comic an sich, sondern es ist zu einer Bezeichnung für ein japanisches Verständnis von moderner Kultur geworden.

1 Vgl. Jaqueline Berndt, Phänomen Manga - Comic-Kultur in Japan, Berlin 1995, 1. Kapitel.

2 Vgl. Jaqueline Berndt, Phänomen Manga - Comic-Kultur in Japan, Berlin 1995, 1. Kapitel.

3 Jörg-Uwe Albig, Der Manga baut sich eine Stadt in: GEO Nr.9/September 1997, S. 137.


Aktualisiert: 10.05.2001   |   Kontakt: Webmaster  |  © japonet 2001