Die biertrinkenden Kühe
von Ljubinka Anic
 

Die biertrinkenden Kühe von Matsusaka werden wie Prinzessinen behandelt. Jeder Wunsch wird ihnen von den Augen abgelesen, An nichts soll es ihnen fehlen. Nichts schadet angeblich mehr als Streß. Die Kühe haben eine gerdumige, helle Behausung und frische Luft im Überfluß. Sie müssen nicht arbeiten, sie sollen sich nicht einmal bewegen. Sie werden massiert, gebürstet und die Hufe werden pedikürt. Doch wenn das Tier richtig verwöhnt werden soll, greift man zur Bierflasche.

Die biertrinkenden Rinder von Matsusaka sind in ganz Japan berühmt. Ihr Fleisch gilt als Delikatesse: köstlich, aber unerschwinglich. Bis zu achtzig Mark muß man für hundert Gramm der besten Qualität ausgeben. Das Rindfleisch aus Matsusaka ist der Kaviar Japans, ein Geschenkartikel für besondere Anlässe. Mit Rindfleisch werden Geschäftsleute und Vorgesetzte beglückt. Mit Rindfleisch lassen sich auch Beziehungen festigen, die einem teuer sind. Über den Transport müssen sich die Schenkenden nicht den Kopf zerbrechen. Kaufhäuser, Versandunternehmen und Fluggesellschaften verschicken die kostbaren Filets quer durchs Land - tiefgekühlt, auf Seidenpapier gebettet, direkt ins Haus.

Fleisch, zumal Rind wird in Japan noch nicht lange gegessen. Reis und Fisch bilden die traditionelle Grundnahrung. Mit der Zunahme westlicher Einflüsse aber änderte sich das Eßverhalten mehr und mehr. Ein Arzt animierte die Bauern in Matsusaka Ende des 19.Jh., Rinder zu züchten. Heute gilt das Fleisch - wie Reis - als urjapanisches Kulturgut. Von Importen aus Amerika und Australien unterscheidet es sich auf den ersten Blick: Es ist nicht nur deutlich teurer, es ist auch wesentlich fetter. Sosehr in Japan auf kalorienarme Kost geachtet wird, bei Rindfleisch macht man eine Ausnahme: je weißer das Fleisch, desto besser die Qualität, desto intensiver der Geschmack - und umso höher der Preis. Ein Steak aus Matsusaka hat auszusehen wie eine Marmorplatte: glänzend, hellrot, von vielen weißen Adern durchzogen. Nur hart wie Stein darf es nicht sein. Die Heimat der schwarzen Matsusaka-Rinder liegt in der Mie-Präfektur. Japan zeigt sich dort von seiner schönsten Seite, mit saftigen Reisfeldern und dichtbewaldeten Hügeln, klaren Bächen

und alten Bauernhäusern. Doch die berühmten Kühe sind in der Natur nicht zu sehen. Die Rinder verbringen ihr kurzes Leben im Stall - drei Jahre, in denen sie mit allem nur erdenklichen Luxus umgeben werden. Es gibt Ställe mit Klimaanlage und Ställe mit Musik, wobei das Repertoire von sanften Opern bis zu japanischem Pop reicht.

Die Kühe stammen in Wirklichkeit aus Tajima in der Hyogo-Präfektur. Dort wachsen die Kälber bis zum Alter von sieben Monaten heran. Die Züchter sind im Grunde nur Halter und Pfleger. Aber diese Aufgabe hält sie Tag und Nacht auf Trab wie die Mutter eines Neugeborenen.

Hygiene ist oberstes Gebot. Ställe und Kühe werden peinlich sauber gehalten. Der Ausbruch von Krankheiten soll um jeden Preis verhindert werden. Man verzichtet auf Antibiotika, sie Tiere sind ja schließlich empfindlich - und verwöhnt. Die Landwirte glauben, daß regelmäßige Massagen mit Gürteln, Bürsten oder Stroh das Gewebe verbessern. Das verabreichte Bier soll den Appetit anregen. Bei aller Liebe zur Kuh - die Mast ist das eigentliche Ziel.

Vierzig Flaschen Bier, über mehrere Monate verteilt sollen "wie Medizin" wirken, glauben die Landwirte. Zehn bis zwanzig Prozent mehr Heu nehmen die Kühe auf diese Weise angeblich zu sich. Statt Bier -direkt' aus der Flasche - dürfe es auch Gersten -Schnaps sein, mit reichlich Wasser verdünnt. Zwischen 580 und 680 Kilogramm bringen die Tiere durchschnittlich auf die Waage, wenn ihr Ende naht.

Mit einigem Stolz behaupten die Landwirte in Matsusakan, ihre Rinder seien die teuersten der Welt. Die kostbarste kuh, die je versteigert wurde, kostete 49,62 Millionen Yen. Das war im Jahr 1988. Damals glaubte Japan noch an sein Wirtschaftswunder, an ewiges Wachstum. Heute können die Bauern von solchen Summen nur noch träumen. Rekordpreise zahlt niemand mehr, ein E-coli-Skandal vor zwei Jahren wirkt nach, Die Kosten für die Halter und die Zeit für die Pflege ließen sich nicht reduzieren. Etwa 1,1 Millionen Yen zahlen die Landwirte für ein durchschnittliches Kalb, für ein Minimum von zwei Millionen verkaufen sie das Tier wieder - nach knapp drei Jahren. Dies ist für die Bauern kein nennenswerter Gewinn.

Die Bauern klagen nicht nur über ein sinken des Einkommen, sie fürchten auch, daß ihre "Kunst"' aussterben könnte. Die meisten Bauern sind über fünfzig, die Kinder wollen den Hof nicht weiterführen - ein Problem, das sich nicht nur in Matsusaka stellt. In der Region Matsusaka soll es ins gesamt noch 130 Rinderhalter geben. Sie sorgen sich um die Zukunft, denn sie investieren so viel in die Pflege und bekommen so wenig heraus. Wenn das Einkommen höher wäre, wäre das Gewerbe für Junge attraktiver, glauben die alten

Bauern. Zwar unterstützt die Regierung in Tôkyô die Bauern mit Subventionen. Es gibt das japanische Rindfleisch - geringe - Steuererleichterungen- für Halter, deren Kühe bei Ausstellungen einen der ersten Plätze erzielen. Doch das ist den Bauern zu wenig.

Seit letztem Jahr wird der Rinderverband erstmals direkt, ohne Zwischenhändler, Kühe an Metzger nach Tôkyô liefern. Die Hauptstadt ist mit Abstand der größte Abnehmer des teuren Fleisches. In Tôkyô gibt es 450 Metzger, die per Lizenz berechtigt sind, Matsusaka-Rind zu verkaufen. Voraussetzung für einen solche Lizenz ist, daß minidestens zwei Kühe im Jahr abgenommen werden. Viel mehr könnten die Bauern auch nicht liefern. Der Aufwand für die Haltung ließe sich nicht verringern, und mehr Kühe könnten die Bauern nicht versorgen. Doch mehr zahlen können und wollen die Konsumenten auch nicht.

Auch wenn den meisten das japanische Rindfleisch wohl das liebste ist, im Alltag ißt der Normalbürger in Japan wie überall preisbewußt - das heißt zunehmend ausländisch. Nachdem im Jahre 1991 die Einfuhrbedingungen liberalisiert wurden, ein Abkommen mit den Vereinigten Staaten und Australien geschlossen wurde, ist das Sortiment in Supermärkten größer geworden. Viele Geschäfte werben mit importiertem Rindfleisch aus Amerika zu vergleichsweise günstigen Preisen. Die japanischen Kunden sind kritisch und achten auf Qualität. Doch selbst wenn sie dem japanischen Rindfleisch den Vorzug geben - das Steak aus Matsusaka sprengt die Haushaltskasse.

Die Bauern setzen unbeirrt auf die Überlegenheit ihrer Ware: Das Fleisch der Matsusaka-Rinder sie unübertroffen. Am besten sei das Fleisch als Sukiyaki, mit Gemüse im Eisentopf gegart. Oder als Steak mit nichts als Salz und Pfeffer: "Bloß keine Saucen." Ein wirklicher Kenner verzehre das Fleisch im übrigen erst nach einer Woche im Kühlschrank: "Wenn sich eine Schicht Schimmel darauf gebildet hat, erreicht der Geschmack seinen Höhepunkt."

Aktualisiert: 10.05.2001   |   Kontakt: Webmaster  |  © japonet 2001